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Job Crafting – die Zukunft der Arbeit oder nur ein Trend?

07.12.2023 15:00:00

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Was so klingt wie ein weiterer schnelllebiger Trendbegriff ist tatsächlich eine Methode aus der Arbeits- und Organisationspsychologie, die bereits seit über 20 Jahren besteht.

2001 veröffentlichten die Forscherinnen Amy Wrzesniewski und Jane E. Dutton „Crafting a Job“ und gelten damit (unter Anderem) als die Urheberinnen dieses Begriffs. Seitdem werden zu dem Thema Forschungen angestellt, Studien durchgeführt und HR-Maßnahmen umgesetzt.

Doch wieso ist Job Crafting in so vielen Unternehmen noch nicht angekommen und was bedeutet das überhaupt?

 

Der Begriff Job Crafting

Lose übersetzt handelt es sich hierbei um das „Gestalten der Arbeit“. Diese Gestaltung soll aktiv stattfinden und betrifft die Aufgaben, das Arbeitsumfeld, die Beziehungen zu anderen Mitarbeitenden und die Abläufe im Job. So soll die intrinsische Motivation des Angestellten für die Arbeit erhöht werden. Ist ein Mitarbeitender also unzufrieden mit seinem Job, kündigt er nicht und sucht sich eine andere, vermeintlich besser passende Position, sondern verändert seine Arbeit so, dass sie besser zu ihm passt.

Amy Wrzesniewski und Jane E. Dutton erklären:

Es geht weniger darum, Menschen zur Arbeit zu motivieren, sondern darum, wie man Menschen unterstützen kann, aktiv zu werden und ihre eigene Arbeit motivierend zu gestalten.“

So kann das Organisieren und Begleiten von Job Crafting Prozessen zu einer Schlüsselkompetenz der zukünftigen Arbeitswelt werden.

Job Crafting_Zitat Wrzesniewski & Dutton

 

Komponenten des Job Crafting

Für das Job Crafting haben sich drei Komponenten herausgebildet, die soziale, die physische und die kognitive.

Bei der sozialen Komponente, dem relational crafting, geht es um Interaktionen im Team, zwischen Kollegen und mit den Führungskräften. Es soll evaluiert werden, ob mit einzelnen Individuen mehr oder weniger Interaktion und Zusammenarbeit gewünscht ist.

Als nächstes muss das task crafting, also der physische Aspekt, beurteilt werden. Es geht also um die einzelnen Aufgaben, die der Mitarbeitende oder das Team bearbeitet. Wie zufrieden ist/sind er/sie mit den Inhalten, den Priorisierungen und dem Umfang der Aufgaben? Welche Aufgaben werden gerne und mit viel Priorität erledigt und welche werden lieber abgegeben oder aufgeschoben?

Zuletzt sollte sich mit dem kognitiven Teil des Job Crafting, mit dem cognitive crafting auseinandergesetzt werden. Hier ist die individuelle Sicht auf den Job ausschlaggebend, also das Selbstverständnis, das der Mitarbeitende hat. Oftmals hilft hier ein Perspektivwechsel, nämlich der Versuch, die eigenen Aufgaben in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Es kann sich gefragt werden, welchen Beitrag das eigene Arbeiten leistet, wie andere dadurch unterstützt werden usw.

Um das Job Crafting strukturiert und erfolgreich umzusetzen sind die Komponenten der erste Anhaltspunkt, an dem Mitarbeitende ihre Situation analysieren können.

Job Crafting_Elemente

 

Wie funktioniert Job Crafting?

Bei Job Crafting kann es sich um kleine oder große Veränderungen handeln, essenziell ist jedoch, dass es sich um einen Prozess handelt, nicht um eine zeitlich definierte Maßnahme.

Um beim Job Crafting strukturiert vorzugehen sollten Arbeitnehmende, die nicht zufrieden mit ihrer momentanen Arbeitssituation sind, zunächst einmal in Ruhe ihren Job reflektieren. Im Rahmen einer Ist-Zustand Analyse sollten die Fragen beantwortet werden:

  • Welche Aufgaben habe ich, wie umfassend beeinflussen diese mein tägliches Doing und welchen Einfluss haben sie auf das Unternehmen?
  • Welche Stärken und Schwächen besitze ich und wie beeinflussen sie meine Aufgaben und Präferenzen?
  • Mit welchen Aufgaben fühle ich mich wohl, welche möchte ich lieber abgeben?
  • Wie bewerte ich meine soziale Situation im Unternehmen? Gibt es Kollegen, mit denen ich gerne mehr oder weniger zusammenarbeiten möchte?
  • Bin ich zufrieden mit meinen Arbeitsbedingungen (beispielsweise Arbeitsplatz, Arbeitszeiten etc.)? Welche Aspekte gefallen mir, welche nicht?

Der Mitarbeitende muss im ersten Schritt herausfinden, welche Aspekte seines Arbeitsalltags ihn zufrieden machen und welche nicht.

Im zweiten Schritt wird die Führungskraft mit hinzugezogen. Durch eine Diskussion der Erkenntnisse aus dem ersten Schritt sollen mögliche Verbesserungspotenziale identifiziert und die Bedürfnisse des Angestellten in Einklang gebracht werden mit den Anforderungen an das Team bzw. dem Unternehmen.

Ist diese Hürde überwunden, kann das gesamte Team miteinbezogen werden. Elemente des Jobs können nun neugestaltet werden und die neue Zusammensetzung von Aufgaben und Rollen im Team koordiniert werden.

Werden die Maßnahmen nun im täglichen Doing umgesetzt, gehört dazu auch, den Prozess stetig zu reflektieren und (wenn nötig) anzupassen.

Die Darstellung dieses Prozesses dient lediglich als Anhaltspunkt und Inspiration und kann basierend auf Anzahl der teilnehmenden Personen und der Umweltbedingungen im Unternehmen angepasst werden. Job Crafting kann für einzelne Mitarbeitende genauso wie für gesamte Teams umgesetzt werden.

Job Crafting_Prozess

 

Beispiel

Patrick arbeitet in einem mittelständischen Produktionsunternehmen. Er ist dort Teil eines Vertriebsteams und beschäftigt sich jeden Tag mit üblichen Vertriebsaufgaben – Kundenbetreuung, Projektmanagement und Steuerungsaufgaben. Außerdem dreht und schneidet er regelmäßig Videos für die interne Verwendung und das Marketing in seinem Unternehmen. Marketing und Vertrieb arbeiten hier eng zusammen.

Patrick merkt allerdings zunehmend, dass er unzufrieden mit seiner Situation ist. Ihm gefallen einige Aufgaben nicht und mit zwei Mitgliedern des Marketingteams versteht er sich besser als mit seinen Kollegen. Folglich denkt Patrick zunehmend darüber nach, zu kündigen.

Mithilfe einer Kollegin kann Patrick jedoch stattdessen Job Crafting betreiben. Im Dialog mit seinen Vorgesetzten werden ihm zunehmend die üblichen Vertriebsaufgaben abgenommen, die ihm nicht gefallen. Er kann dafür andere Mitarbeitende unterstützen, indem er immer mehr videobezogene Aufgaben übernimmt. Hier wird Task Crafting betrieben. Zusätzlich kann Patrick zukünftig seinen Platz wechseln hin zu den Marketingmitarbeitern. Er arbeitet weiter mit seinem Team, trotzdem kann so im Bereich des Relational Crafting eine positive Veränderung erreicht werden.

So können für den Mitarbeitenden schwerwiegende Probleme gelöst und seine Zufriedenheit gesteigert werden. Hier wurde ein Abgang aus dem Unternehmen verhindert.

In diesem Aspekt liegt der größte Gewinn des Job Crafting. Unzufriedene Mitarbeitende werden zu zufriedenen Mitarbeitenden und damit werden Abgänge verhindert.

Job Crafting_Beispiel

 

Wozu dient das Job Crafting?

2022 hat jeder 5. Beschäftigte in Deutschland gekündigt, ohne einen neuen Job zu haben. Das bedeutet, die Unzufriedenheit, die diese Angestellten empfinden, ist enorm. Job Crafting kann hier ein Lösungsansatz sein, um die Zufriedenheit zu steigern und die Verweildauer der Mitarbeitenden im Unternehmen zu verlängern.

Durch Job Crafting sollen Mitarbeitende ihren Job weniger als „in Stein gemeißelt“ sehen und mehr als flexibles Konstrukt. Ein Angestellter muss nicht 100 % in die Position passen, sondern die Position kann an den Angestellten angepasst werden (Person-Job-Fit).

Oftmals entsteht eine Unzufriedenheit erst durch eine Veränderung der Lebenssituation, beispielsweise das Elternwerden oder ein Umzug. Hier kann, statt einen Jobwechsel als einzige Alternative zu sehen, das Job Crafting helfen, den Job den veränderten Bedingungen anzupassen.

Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2017 ergab, dass dadurch Arbeitszufriedenheit, Arbeitsleistung und das Arbeitsengagement gesteigert werden, während Stress reduziert wird.

Durch Job Crafting kann die Motivation gesteigert werden. Mitarbeitende erarbeiten sich Freiheiten, aber auch neue Verantwortungen. Die eigene Arbeit soll selbstbestimmt gestaltet werden.

Zufriedene Mitarbeitende sind also motivierter und leistungsfähiger. Sie haben geringere Fehlzeiten und durch das Verhindern von Kündigungen sinkt die Fluktuation im Unternehmen.

 

Chancen des Job Crafting

Job Crafting erfordert oftmals wenig Aufwand und geringe Kosten (besonders im Vergleich zum Worst-Case-Szenario: Kündigung und Neubesetzung der Position). Effizienz und Produktivität der Mitarbeitenden steigt, wenn diese zufrieden sind. Es entsteht eine bessere Zusammenarbeit im Team, Aufgaben werden eher nach Vorlieben und Fähigkeiten aufgeteilt und weniger nach starren Rollenmodellen.

Ein enormer Vorteil des Job Crafting ist die universelle Anwendbarkeit. Es ist in jeder Arbeitsumgebung anwendbar, Größe, Branche oder Struktur des Unternehmens sind dabei nebensächlich.

Unabhängig von den Maßnahmen, die im Rahmen des Job Crafting ergriffen werden können, kann bereits die Selbstanalyse zu Beginn des Prozesses für den Betreffenden interessante Erkenntnisse gewähren.

In manchen Fällen wird während der Analyse des Ist-Zustands klar, dass ein privater Konflikt eher der Grund für die Unzufriedenheit ist als der Job. Hierbei handelt es sich auch um eine wertvolle Erkenntnis. Außerdem kann dem Mitarbeitenden klar werden, dass er sich in einer Lebenssituation befindet, indem er keine Kapazitäten übrig hat, sich mit seinem Arbeitsumfeld zu beschäftigen. In diesem Fall sollte zunächst das private Problem gelöst werden, und dann der Prozess des Job Craftings wieder aufgenommen werden.

 

Herausforderungen des Job Crafting

Das Job Crafting erfordert einige Flexibilität der Führungskräfte und des betreffenden Teams, um erfolgreich umgesetzt zu werden. Außerdem sollte es vor Beginn des Prozesses wohlüberlegt sein. Es ist schwierig, alle Veränderungen wieder rückgängig zu machen, wenn im Nachhinein bemerkt wird, dass dem Mitarbeitenden die neue Situation / die neuen Aufgaben doch nicht so gut gefallen wie gedacht.

Generell ist Job Crafting schwieriger umzusetzen, wenn nur einer im Team Job Crafting betreiben möchte. Besonders die Aufgabenverteilung und das Abgeben unerwünschter Aufgaben sowie das Aufnehmen neuer, willkommenerer Aufgaben eines Einzelnen gestaltet sich schwierig, wenn der Rest des Teams mit der aktuellen Verteilung zufrieden ist.

Außerdem müssen gewisse Aufgaben zwingend erledigt werden, die allerdings niemand übernehmen möchte. Wie wird dann im Team mit einer derartigen Situation umgegangen?

Deshalb kann es sinnvoll sein, wenn die Führungskraft bei geäußertem Interesse eines Angestellten in den Dialog mit dem gesamten Team tritt.

Außerdem sollte allen Beteiligten bewusst sein, dass es sich beim Job Crafting um einen Prozess handelt. Ein gewisser Zeitaufwand wird unumgänglich sein.

Selbstverständlich hat ein derartiger Prozess auch Grenzen. Wenn die Zufriedenheit des Mitarbeitenden grundsätzlich mit dem Unternehmen zu tun hat, wird der Handlungsspielraum sehr begrenzt sein. Manchmal ist die Situation auch so eingefahren, dass auch Job Crafting nicht mehr hilft. Das sprichwörtliche Kind ist bereits in den Brunnen gefallen.

Dennoch kann Job Crafting als ein erstes Tool genutzt werden, um Mitarbeitende nicht mit ihrer Unzufriedenheit allein zu lassen, bis das Worst-Case-Szenario der Kündigung eintritt. Stattdessen treten Führungskraft und Angestellte in einen Dialog, um proaktiv eine positive Veränderung herbeizuführen.

Job Crafting_Chancen und Herausforderungen


Wie kann man nun also als Führungskraft oder HR-Abteilung Job Crafting anstoßen?

Es gibt vier Aspekte, die bei der Einführung von Job Crafting berücksichtigt werden sollten.

Damit Job Crafting funktionieren kann, müssen zunächst starre Strukturen im Unternehmen ermittelt und aufgelöst werden. So wird den Teams ermöglicht, ihre Aufgaben flexibler aufzuteilen und auch tätigkeitsübergreifende Zusammenarbeit wird möglich gemacht.

Im Allgemeinen sollte weniger an starren Jobbeschreibungen festgehalten werden, um die Handlungsspielräume für die Mitarbeitenden zu erweitern. Diese sollen im Optimalfall durch die Angestellten selbst gestaltet werden.

Die Führungskräfte agieren dabei als Begleiter und Berater für die Mitarbeitenden. Sie müssen offen für Veränderungen im Team sein und Feedback Kanäle einrichten. Die Teammitglieder müssen sich wohl genug fühlen, Unzufriedenheiten anzusprechen. Nur so kann Job Crafting funktionieren.

Als Führungskraft ist es sinnvoll, Vorgaben zu vermeiden. Vielmehr soll im Rahmen des Prozesses ein Dialog mit den Mitarbeitenden entstehen.

Für die Entscheidungsträger kann es hilfreich sein sich bewusst zu machen, dass Job Crafting ständig stattfindet. Mitarbeitende priorisieren oft Aufgaben, die sie gern erledigen. Genauso werden To-Dos vermieden oder nach hinten geschoben, die nicht gern erfüllt werden. Angestellte bauen bewusst und unbewusst „Work-arounds“, um sich ihr Arbeitsumfeld angenehmer zu gestalten.

Aus diesem Grund lohnt es sich, den Prozess lieber bewusst zu machen und mitzugestalten. So kann ein passender Rahmen gegeben werden, anstatt das Ganze unbemerkt laufen zu lassen.

Wie bereits erwähnt, ist die Umsetzung von Job Crafting leichter, wenn das gesamte Team involviert ist, statt ein einzelner Mitarbeiter. Im Team muss ein Verständnis dafür entstehen, dass alle davon profitieren, wenn mehr auf Stärken, Schwächen und Vorlieben eingegangen wird. Im Team ist es für den Erfolg von Job Crafting essentiell, dass alle Beteiligten offen für den Prozess sind. Hierfür ist eine offene Kommunikation wichtig. Außerdem können agile Methoden bei der flexiblen, erfolgreichen Umsetzung helfen. Da es sich um einen länger andauernden Prozess handelt, kann Agilität während der Durchführung dafür sorgen, dass die einzelnen Schritte des Vorgangs stets an eventuell veränderte Bedürfnisse des Teams oder der Führungskräfte angepasst werden.

Job Crafting_4 Faktoren zum Anstoßen

Zuletzt muss jeder Einzelne, der am Job Crafting beteiligt ist, bzw. der sich Job Crafting wünscht, einige Kriterien erfüllen. Selbstverständlich ist die Offenheit für Veränderungen. Aber auch die zeitliche und vor allem psychische Kapazität muss gegeben sein. Für einen solchen Prozess muss der Zeitpunkt passend gewählt sein. Es sollte beruflich kein größeres Projekt bevorstehen und auch privat sollten keine massiven Veränderungen anstehen, damit man seine Energie in die anstehenden Neugestaltungen im Arbeitsalltag investieren kann.

Besonders wichtig sind die Eigenmotivation und die Eigenreflexion der Betroffenen. Auf der Selbstanalyse, welche Ursache die Unzufriedenheit hat und welche Veränderungen notwendig sind, basiert der gesamte Erfolg des Job Crafting.

Job Crafting_Kriterien

 

Schlussendlich ist die intrinsische Motivation zur positiven Veränderung durch den Mitarbeitenden der Hauptfaktor für das Gelingen des Job Crafting. Gleichzeitig kann ein Team und besonders die Führungskraft maßgeblich dabei unterstützen, die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zu steigern. So kann Job Crafting seinen Sinn und Zweck erfüllen: Mitarbeitende zufriedener machen und damit Motivation und Produktivität steigern und Abgänge verhindern.

Im Zusammenhang mit der Personaleinsatzplanung bietet Job Crafting die Möglichkeit, auf individuelle Bedürfnisse und Stärken der Mitarbeitenden einzugehen. Eine durchdachte Integration von Job Crafting in die Personaleinsatzplanung kann helfen, passgenaue Arbeitsstrukturen zu schaffen, die die Mitarbeiterzufriedenheit steigern und gleichzeitig die Unternehmensziele unterstützen. Die Kombination von Job Crafting und Personaleinsatzplanung ermöglicht es Unternehmen, ihre Ressourcen optimal zu nutzen und gleichzeitig die Mitarbeiterbindung und Produktivität zu fördern.

Pia Hoffmann

Geschrieben von Pia Hoffmann

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