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Fachkräftemangel: So gewinnen Sie im War for Talents

24.08.2022 08:45:00

Der Fachkräftemangel in Deutschland ist kein neues Phänomen. Ständig wird in diversen Medien darüber berichtet und vor der Verschärfung des Fachkräftemangels in den kommenden Jahren gewarnt. Und tatsächlich gibt es in einigen Branchen oder Regionen hohe Personalengpässe, wodurch Unternehmen zunehmend unter Druck geraten, qualifizierte Arbeitskräfte für ihre offenen Stellen zu rekrutieren. Im Juli 2022 erreichte der Fachkräftemangel nach einer Pressemitteilung des ifo Instituts sogar seit 2009 einen neuen Höchststand: 49,7% der Unternehmen sind betroffen. 

 

Insbesondere der Fachkräftemangel an Flughäfen oder bei Airlines ist zur derzeitigen Reisezeit allgegenwärtig. Der Mangel von Arbeitskräften in der Pflegebranche wurde durch die Corona-Pandemie mehr als deutlich. Ähnlich sieht es aber auch in vielen anderen Branchen aus, die weniger in der Öffentlichkeit stehen. 

Aber welche Ursachen hat der Fachkräftemangel? Welche Branchen sind betroffen und was können Unternehmen tun, um die Auswirkungen zu mindern und qualifizierte Fachkräfte zu binden? 

Was versteht man unter einem Fachkräftemangel? 

Zunächst muss der Begriff des Fachkräftemangels definiert werden. Fachkräfte sind Arbeitskräfte, die in einem bestimmten Bereich eine Berufsausbildung oder ein akademisches Studium erfolgreich abgeschlossen haben. Sie sind somit für ihren Tätigkeitsbereich qualifiziert und verfügen über alle notwendigen Kenntnisse, die benötigt werden, um die Position sach- und sinngemäß auszuführen. 

Von einem Fachkräftemangel spricht man dann, wenn in einer Volkswirtschaft eine große Anzahl offener Arbeitsplätze nicht besetzt werden kann, da es an qualifizierten Fachkräften mangelt, die diese Position ausüben könnten. Erkennbar wird dies dann meist an überdurchschnittlich steigenden Löhnen für diese Stellen oder Berufe. 

Sind wir vom Fachkräftemangel betroffen? 

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit sind in Deutschland besonders handwerkliche Berufe, die Branchen rund um Pflege und Medizin sowie sämtliche MINT-Berufsgruppen vom Fachkräftemangel betroffen. Letztere Gruppe umfasst mathematische, IT, naturwissenschaftliche und technische Berufe. Hier waren nach Studien des Instituts der deutschen Wirtschaft im April 2022 nahezu eine halbe Million Stellen unbesetzt. So viele Arbeitskräfte fehlten zuletzt im April 2011.  

Fachkräftemangel_Engpassberufe_GraphikLaut Arbeitsmarktreport der AOK gaben 2019 beinahe die Hälfte der Unternehmen an, ihre offenen Stellen nicht langfristig besetzen zu können, da sie keine passenden Arbeitskräfte fänden. Eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung zeigt außerdem, dass im Jahr 2021 ganze 66% der befragten Unternehmen aktuell mit Fachkräfteengpässen zu kämpfen haben. 

Personalengpässe sind also auch in Deutschland eindeutig spürbar. Von einem deutschlandweiten Fachkräftemangel kann bisher allerdings noch nicht gesprochen werden. Dennoch steigt die Diskrepanz zwischen Fachkräften und ausgeschriebenen Berufsangeboten weiterhin, weshalb auch weniger betroffene Branchen idealerweise bereits provisorische Maßnahmen ergreifen sollten. 

Engpassanalyse: Wie misst man einen Fachkräftemangel?  

Spezielle Messinstrumente und -methoden gibt es hierfür nicht. Als Orientierung wird in der Engpassanalyse darum der Wert der sogenannten Vakanzzeit genutzt. Die Vakanzzeit gibt Aufschluss darüber, wie viel Zeit zwischen der Ausschreibung und der Besetzung einer neuen Stelle vergeht. Vereinfacht beschreibt die Vakanzzeit also die Besetzungsdauer einer offenen Position.  

Während der Besetzungszeit fehlt im Unternehmen eine benötigte Fachkraft. Längere Vakanzzeiten können also Engpässe in Berufen oder Branchen aufzeigen. Für die betroffenen Unternehmen sind diese Zeiträume sehr teuer, weshalb stets versucht wird, die offenen Stellen möglichst schnell zu besetzen. Genaue Zahlen und Werte der Engpassanalyse werden regelmäßig von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht. 

Die durchschnittliche Vakanzzeit liegt in Deutschland im Jahr 2022 bei 129 Tagen: Es vergehen im Durchschnitt also 129 Tage, bis eine offene Stelle besetzt wird. Besonders hoch ist der Wert im Bereich der Altenpflege mit einer Vakanzzeit von 239 Tagen. Im Vergleich zum Vorjahr hat sie die bundesweite Vakanzzeit in Deutschland um 3 Tage erhöht, 2008 lag sie noch bei 68 Tagen. Die Länge der Besetzungsdauer ist in den letzten Jahren also merkbar gestiegen. 

Im Bundesländervergleich konnte die höchste Vakanzzeit in Höhe von 145 Tagen in Sachsen festgestellt werden. Im Zeitraum von August 2021 bis Juli 2022 stieg sie hier um 18 Tage. 

Fachkräftemangel_Vakanzzeit_nach_Bundersländern_Graphik

Ursachen von Fachkräftemangel 

Der Fachkräftemangel ist eine der Folgen der aktuellen Trends in der Arbeitswelt. Die drei Hauptursachen sind Folgende: 

Ursachen_von_Fachkräftemangel_Graphik

Demographischer Wandel 

Eine Erhebung des Instituts der deutschen Wirtschaft geht davon aus, dass bis 2030 rund 5 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Der Grund hierfür ist, dass sehr viel mehr Menschen in den Ruhestand gehen, als neue Erwerbsfähige in den Arbeitsmarkt nachrücken. Durch das ungleiche Verhältnis der verschiedenen Generationen entsteht eine Lücke auf dem Markt, welche den Fachkräftemangel begünstigt. 

Digitalisierung 

Die Digitalisierung lässt viele neue Berufsfelder insbesondere im IT-Bereich entstehen, die qualifizierte Arbeitskräfte mit dem notwendigen technischen Wissen erfordern. Da das benötigte Fachwissen oft sehr spezifisch ist, können viele Fachkräfte die Anforderungen nicht erfüllen und die Positionen bleiben unbesetzt. 

Globaler Wettbewerb 

Durch die Globalisierung ist es möglich, von überall in der Welt zu arbeiten. Das bedeutet aber auch, dass die Unternehmen nicht nur landesweit im War for Talents stehen, sondern ein globaler Wettbewerb um die bestqualifizierten Arbeitskräfte stattfindet. Damit steigt die Konkurrenz stark an und der Fachkräftemangel im eigenen Land wird durch die Abwerbung ausländischer Unternehmen verstärkt. 

Folgen eines Fachkräftemangels 

Liegt in einer Branche oder in einem Berufszweig ein Fachkräftemangel vor, hat dies sowohl entscheidende Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft als auch für die einzelnen Unternehmen. 

Im Gesamten wird die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gemindert, da ein Fachkräftemangel den Rückgang von Innovationen und Produktivität bedingt. Für Unternehmen bedeuten Personalengpässe Produktionsausfälle und Probleme mit Lieferketten, wodurch es letztendlich zu Umsatzeinbußen kommt. Fehlen notwendige Fachkräfte, müssen Unternehmen häufig ihr Angebot einschränken oder Aufträge ablehnen, was sich auf die gesamten Produktionsketten – im schlimmsten Fall bis hin zu den Endverbrauchern – auswirkt. Das Wachstum der betroffenen Unternehmen und Fachbereiche stagniert. 

Um Lieferfristen und Dienstleistungsangebote dennoch einhalten zu können, wird das bestehende Personal mehr beansprucht. Oft geht hier eine hohe Belastung für die Mitarbeitenden einher. Alternativ müssen Unternehmen ihr Angebot einschränken oder Aufträge ablehnen. 58% der Unternehmen rechnen zudem mit steigenden Kosten, um qualifizierte Mitarbeitende einstellen oder an das Unternehmen binden zu können. 

Insgesamt sind die Konsequenzen eines Fachkräftemangels schwerwiegend für alle wirtschaftlichen Prozesse und Institutionen, weshalb das Vorbeugen von Personalengpässen zunehmend an Bedeutung gewinnt. 

Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel 

Gesamtwirtschaftlich kann die gesteuerte Zuwanderung erhöht werden, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Allerdings ist dies eine Frage der Politik, auf die die Unternehmen keinen direkten Einfluss nehmen können. Was für Maßnahmen können Arbeitgebende und Unternehmen also ergreifen? 

Fachkräftemangel_Vorbeugen_Graphik

1. Mitarbeiterbindung 


Eine Antwort lautet Mitarbeiterbindung. Sind Mitarbeitende im Unternehmen sehr zufrieden oder bekommen sogar die Möglichkeit, ihre Wünsche und Ziele in einem Unternehmen zu realisieren, ist ihre Tendenz sich abwerben zu lassen, geringer. Wer also versuchen möchte, seine Fachkräfte langfristig an das Unternehmen zu binden, sollte sich auf die Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit konzentrieren. 

Oft wird versucht, Fachkräfte mit hohen Entgelten zu binden. Ein hohes Gehalt kann die Mitarbeitenden zwar zufriedenstellen, allerdings besteht weiterhin das Risiko, dass sie sich abwerben lassen. Dafür braucht es dann lediglich ein Unternehmen mit einem höheren Gehaltsangebot. 

2. Hybride Arbeitsmodelle anbieten 


Mitarbeiterbindung ist also viel mehr als eine hohe Bezahlung. Statt auf extrinsische Motivatoren zu setzen, sollten intrinsische Anreize geschaffen werden, die die Mitarbeitenden zufrieden machen. Dazu müssen die individuellen Wünsche und Vorstellungen der Arbeitskräfte berücksichtigt werden. 

Der einfachste Ansatz ist das Anbieten hybrider Arbeitsmodelle. So können alle Mitarbeitenden frei entscheiden, zu welcher Zeit sie von welchem Ort aus arbeiten möchten. Für viele Mitarbeitende ist diese Möglichkeit eine große Entlastung: Vor allem Eltern, ältere Arbeitnehmende, Studierende und Vollzeitberufstätige profitieren von individuellen Arbeitszeiten, die optimal zu ihren jeweiligen Lebensphasen passen. Durch dieses Maß an Flexibilität und Selbstbestimmung steigt die Mitarbeiterzufriedenheit nachweislich an. Denn wer wünscht sich keinen Freiraum, die Arbeitszeiten nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu können? Hybride Arbeitsmodelle machen diesen Wunsch möglich. 

Für die Umsetzung hybrider Arbeitsmodelle ist es empfehlenswert, die Arbeitszeiten digital zu verwalten. So werden die HR-Abteilungen entlastet und die Einsatzplanung für Planende und Mitarbeitende vereinfacht. Neben der steigenden Mitarbeiterzufriedenheit verbessert diese Maßnahme auch die Effizienz bei der Planung, weshalb mehr Zeit für andere Aufgaben bleibt. 

3. Mitarbeitende qualifizieren 


Ein ebenfalls effizienter Ansatz ist die Qualifizierung von bestehenden Mitarbeitenden. Bietet man den Mitarbeitenden Fort- und Weiterbildungen an, entsteht eine Win-Win-Situation für alle: Die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigt, da Schulungen eine angenehme Abwechslung im Arbeitsalltag darstellen und zugleich werden die bestehenden Mitarbeitenden für neue Aufgabenfelder qualifiziert. Bis zu einem gewissen Ausmaß müssen die Bereiche so gar nicht extern besetzt werden und das Unternehmen kann eine Menge Zeit und Ressourcen sparen. 

Für eine optimale Planung der Weiterbildungen ist ein starkes Schulungsmanagement erforderlich. Viele Unternehmen setzen zur Unterstützung auf digitale Schulungsverwaltungen, um die Prozesse für sich und die Mitarbeitenden reibungslos gestalten zu können. 

4. Employer Branding 


Employer Branding bezeichnet eine Marketingstrategie, welche das Unternehmen sowohl nach außen als auch nach innen attraktiv dargestellt, um sich erfolgreich am Arbeitsmarkt zu positionieren. Ein positives Employer Branding hilft Unternehmen in der Personalrekrutierung dabei, besser qualifizierte Bewerber und Bewerberinnen für die offenen Stellen zu interessieren. Gleichzeitig unterstützt ein gelungenes Employer Branding die emotionale Bindung bestehender Mitarbeitenden an das Unternehmen, wodurch die Fluktuation von Fachkräften verringert werden kann. 

Damit Employer Branding funktioniert, muss ein Unternehmen seinen Mitarbeitenden besondere Benefits bieten. Die Aspekte Work-Life-Balance, hybride Arbeitsmodelle und flexible Arbeitszeiten oder auch Fortbildungsmöglichkeiten werden auch hier gern gesehen. Aber auch Kleinigkeiten wie eine transparente Kommunikation oder das Bereitstellen von kostenlosen Getränken und Lebensmitteln wie Kaffee oder Obst leisten einen Beitrag zum positiven Image. Ein Fachkräftemangel ist somit unwahrscheinlicher. 

Fazit 

Insgesamt gibt es für Unternehmen also einige Möglichkeiten, sich vor den Folgen des Fachkräftemangels zu schützen. Besonders ausschlaggebend ist in allen Punkten die Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen. Auch in bisher wenig betroffenen Branchen ist es zu empfehlen, vorsorgliche Maßnahmen zu treffen: Denn auch ohne einen vorliegenden Personalmangel schaden zufriedene und motivierte Mitarbeitende natürlich nie. 

Themen: Personalwissen
Lilli Baumgärtner

Geschrieben von Lilli Baumgärtner

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